für Eltern

Zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten im Alltag?-eine unbegründete Sorge…

Von einigen Eltern bekamen wir die Rückmeldung, dass sie sich Sorgen machen, dass ihre Kinder daheim zu wenig gefördert werden. Nicht alle haben die Zeit, sich intensiv und ausschließlich mit ihren Kindern zu beschäftigen, sondern müssen Homeschooling, Homeoffice, Haushalt und Kleinkind unter einen Hut bringen. Eine große Herausforderung in diesen ungewissen und ungewöhnlichen Zeiten.

Diese Zeilen sollen dazu beitragen, den Druck, der daraus entstehen kann, herauszunehmen. Denn Förderung oder wie wir Pädagogen lieber sagen, „die Kinder in Ihrer Entwicklung zu unterstützen“, ist immer und überall möglich, auch und vor allem Zuhause.

Die Zauberformel heißt: gemeinsam Alltag leben! Lasst eure Kinder an dem teilhaben, was ihr daheim so tut, lasst sie helfen, mitdenken, gebt ihnen die Möglichkeit, zu erkennen, dass sie schon eine Menge können.

Im Folgenden möchten wir anhand eines ganz normalen (All-)Tages, mit ganz einfachen Beispielen, die in jedem Haushalt vorkommen, zeigen, welches Entwicklungspotential sich darin verbirgt.

Beginnen wir an einem ganz normalen Montagmorgen. Das Kind wird geweckt, steht auf, beginnt mit den morgendlichen Tätigkeiten im Bad. Im Moment ist in vielen Familien die Zeit für viel selbständiges Handeln. Auch wenn das Kind allein viel mehr Zeit benötigt, um sich anzuziehen: was es alleine kann, sollte es auch allein tun dürfen. (so trainiert es seine Fähigkeiten, sich anzuziehen, wird selbständig und mit der Zeit immer sicherer und schneller dabei)

Wenn die Möglichkeit besteht, kann nun gemeinsam der Frühstückstisch gedeckt werden. Hier kann euer Kind sicher schon Einiges mithelfen. Ihr könnt gemeinsam überlegen, was gebraucht wird. Was muss aus dem Kühlschrank auf den Tisch? Wie viele Familienmitglieder frühstücken mit…? (neben dem Nachdenken, sich erinnern an vorherige gemeinsame Frühstücke, wird hier so ganz nebenbei mathematisches Verständnis trainiert. Zählen, überlegen, wieviel, mehr, weniger…sind nur einige Beispiele)

Beim gemeinsamen Frühstück kann darüber gesprochen werden, was heute so anliegt.

Das heißt nicht, dass überlegt werden muss, was man heute alles mit dem Kind unternehmen/wie man es „bespaßen“ kann, sondern das, was heute an Alltäglichem getan werden muss.

Das kann ein Einkauf beim Bäcker oder im Supermarkt sein, aber auch so einfache Dinge wie Wäschewaschen, Spülmaschine ein/ausräumen, Treppe putzen, Müll rausbringen gehören zum Alltag und müssen erledigt werden. Kinder sind begeisterte Helfer - wenn man sie lässt und dazu einlädt, ohne sie zu drängen. Gemeinsam zu überlegen, welche Lebensmittel fehlen und eingekauft werden müssen, (Gedächtnistraining, Denkfähigkeit), sich vielleicht etwas aussuchen zu dürfen, was man gern essen möchte (mitbestimmen), jedoch auch ein Nein zu hören und zu akzeptieren (den Frust der dabei entsteht, auszuhalten und zu lernen, dass im Leben nicht alle Wünsche erfüllt werden können und müssen) Wäsche zu sortieren, die Maschine zu bestücken, Wäsche aufzuhängen, (Denkfähigkeit, Feinmotorik), das zerbrechliche Geschirr in der Hand zu halten (zu erleben: Mama traut mir etwas zu, Sorgfalt mit zerbrechlichem Material zu üben, sollte etwas zu Bruch gehen, gemeinsam aufzukehren und kein Drama daraus zu machen lehrt das Kind: Dinge sind zerbrechlich, ich muss noch vorsichtiger sein, ich darf es weiter versuchen und werde nicht als „zu klein“ weggeschickt.) Beim Treppe putzen über die Körpermitte zu arbeiten (verknüpft ganz neben bei die beiden Gehirnhälften) und macht Spaß!

Sind alle Aufgaben erledigt, ist es Zeit für das Zubereiten des Mittagessens. Auch hier kann euer Kind ganz wunderbar mithelfen, wenn es möchte. Heute gibt es beispielsweise einen Salat und Brot zum Mittagessen. Für den Salat braucht ihr einiges an Gemüse. Euer Kind kann hier vielleicht mitentscheiden, welches Gemüse hineinkommt (und erlebt Selbstwirksamkeit), es darf beim Schnippeln helfen, (es trainiert seine Feinmotorik, braucht bald nur noch wenig bis gar keine Hilfe, lernt, dass Messer scharf sind und bei richtigem Gebrauch nur das Gemüse schneiden J, lernt Gemüse mit all seinen Sinnen kennen, darf naschen, riechen…verbunden mit einem Gespräch findet hier so ganz nebenbei auch noch Sprachförderung statt). Ist der Salat bereit, kann, wie beim Frühstück, der Tisch gemeinsam hergerichtet werden.

Am Nachmittag geht ihr vielleicht gemeinsam eine Runde spazieren, in den nahegelegenen Wald oder auf den Spielplatz, möglicherweise darf ein Freund eures Kindes mitkommen (hier gibt es unzählige Bereiche, die ohne große Mühe gefördert werden: Grobmotorik, beim Laufen, klettern, kraxeln, schaukeln…, das Beobachten der Natur, das Spiel im Freien regt die Phantasie an, das Beschäftigen mit einem Freund/anderen Kindern auf dem Spielplatz trainiert soziale und sprachliche Kompetenzen…)

Wieder zu Hause angekommen, ist Luft für anderes.

Wenn nun aber all die Dinge des Alltags erledigt sind? Und Ihr den Satz hört: „Mir ist laaaaangweilig!“ dann kommt auch hier eine erleichternde Botschaft: Langeweile ist gesund und ebenso wichtig für die kindliche Entwicklung, wie das tägliche Tun und Helfen.

Diese Langeweile mit Angeboten und vorgegebenen Dingen zu füllen, kann ab und zu eine Lösung sein, sollte aber nicht zur Gewohnheit werden.

Aus Langeweile-wenn man dem Kind die Möglichkeit gibt, diese auszuhalten - kann Wunderbares entstehen. (Dazu haben wir beim Stöbern im Netz zwei interessante Artikel gefunden, die belegen, dass Langeweile sehr vorteilhaft und wichtig für die kindliche Entwicklung ist:

 https://www.sueddeutsche.de/leben/die-muehen-der-erziehung-laaaaangweilig-1.2660964

https://www.jan-uwe-rogge.de/vom-glueck-der-langeweile-wie-kinder-zeit-erleben/ (es gibt unzählige weitere…)

Auch Hirnforscher Gerald Hüther hat dazu geforscht, hier ein Link dazu:

https://www.youtube.com/watch?v=tzV5blBmfCE  )

Dass Langeweile gut und wichtig ist, haben wir im Kindergarten oft genug erlebt, wenn wir eben nicht gleich ein Spiel oder Bastelangebot parat hatten. Die besten Ideen entwickeln Kinder, wenn ihnen langweilig ist.

Im Kinderzimmer gibt es sicher viele Möglichkeiten, die euer Kind nutzen kann, um sich zu beschäftigen und allein, für sich, Spielideen zu entwickeln. Vielleicht mag es aber auch mit Alltagsgegenständen kreativ werden. Dies kann schon vormittags beim gemeinsamen Wäscheaufhängen passieren, wenn plötzlich die Klammern an sich zum Spielobjekt werden und das Aufhängen der Wäsche für euer Kind grade nicht mehr wichtig ist…, ebenso können Decken, Tücher, alte Kleider, die irgendwo in Reichweite liegen, zum Spiel einladen.

Das freie Spiel, wo euer Kind selbstvergessen in seine erdachte Welt abtaucht, ist wesentlicher Bestandteil für eine gute Entwicklung (Dazu gibt es unter diesen Links:

https://www.youtube.com/watch?v=F9ZsMoUyPa0

 https://www.youtube.com/watch?v=-0-ViXF4hik

von Hirnforscher Gerald Hüther wissenschaftliche „Belege“)

Und wenn Euer Kind sich anderweitig beschäftigen möchte?

Dann wäre es gut, wenn es bei euch daheim eine Kreativecke gibt. Ein Bereich, der zum Basteln, Malen, Werkeln einlädt, ohne etwas vorzugeben. Das kann eine Kiste mit Materialien, wie Holz, Papier, Muggelsteinen, Bändern, Kleber, Stiften, Schere, Pinseln, Malfarben, u.s.w. sein, aus der das Kind selbständig und frei schöpfen kann, ohne dass ein Erwachsener dabei sein/es anleiten muss. Wichtig ist, dass der Platz, an dem es arbeitet, so gestaltet ist, dass Kleckern und Krümeln, Schnipseln und Kleistern erlaubt ist und ohne Ärger und Mühe schnell beseitigt werden kann.

Hier kann aus der Langeweile etwas Schöpferisches entstehen. Ohne einen Erwachsenen neben sich zu haben, kann euer Kind nun kreativ tätig werden (es kann selbständig tun, es bekommt die Zeit, die es braucht, es darf nachdenken, seiner Phantasie freien Lauf lassen, sich als selbstwirksam erleben, Materialien ausprobieren, Misserfolge erleben, wenn etwas nicht gleich so gelingt, wie geplant und neue Strategien für sein Ziel entwickeln-wenn Mama/Papa nicht gleich eine Lösung für sein Problem anbietet, sondern das Kind allein „denken“ lässt.)

Abends wiederholt sich das Ritual des Tischdeckens, wie oben beschrieben.

Und dann ist es Zeit für´s Bett. Hier hat jede Familie ihr eigenes Ritual. Vielleicht gibt es ja eine Gute-Nacht-Geschichte, von Mama oder Papa gelesen (hier passiert so ganz nebenbei Sprachentwicklung, gemeinsam kann noch einmal der Tag besprochen werden. „Was war heute besonders schön?“, ist eine Frage, die Kinder dazu einlädt, noch einmal über das Erlebte nachzudenken, etwas zu erzählen und gleichzeitig die Merkfähigkeit und Sprache zu trainieren), vielleicht wird auch eine kurze Sendung im Fernsehen  angeschaut. Hier ist es schön, wenn ein Erwachsener mitschaut und mit dem Kind danach das Gesehene reflektiert. (auch dies regt die Sprachentwicklung an, gibt Raum, das Gesehene zu verarbeiten, evtl. Fragen zu beantworten)

 

Dann ist der Tag zu Ende und eine Menge ist passiert.

Viele dieser alltäglichen Dinge, die für uns so selbstverständlich und unbedeutend erscheinen, beinhalten für Kinder ein unglaublich spannendes Entwicklungspotential. Alles was mit Spaß und spielerisch, ohne Druck, eben im normalen Geschehen passiert, ist eine wunderbare Erfahrung für Kinder und lehrt sie fürs Leben.

Wer an Alltagsdingen teilnehmen, mitwirken kann (aber nicht muss), erlebt Selbstwirksamkeit, nimmt sich als kompetent und wichtig wahr, ohne dass dies zum Thema gemacht werden muss.

Können/dürfen-aber nicht müssen, auch das ist wichtig. Freiwillig etwas mittun dürfen, aber auch die Möglichkeit zu haben, frei und in Ruhe zu spielen, ist wesentlich für das Gelingen des Lernens. Eingeladen sein, mitzumachen, heißt, zu wissen, dass man willkommen ist, jederzeit dabei sein und mitmachen kann, aber auch, nach einer gewissen Zeit wieder gehen und weiterspielen darf, ohne dass dies bewertet wird.

Uns ist bewusste, dass Alltag zu leben auch herausfordernd und anstrengend sein kann, besonders jetzt, wo so viel Zusätzliches auf euch als Familien zukommt. Dennoch sind wir uns sicher, dass ihr diese Herausforderung gut meistert und euer Kind all das bekommt, was für seine Entwicklung wichtig ist, einfach nur, weil ihr für euer Kind da seid, ihr es, wo es möglich ist, teilhaben lasst und es mit euch all das erleben kann, was Alltag ist. Alltag - in dem so viel Potenzial steckt, ohne dass groß etwas geleistet, verändert, vorbereitet werden müsste.